Was mich geschockt hat
Früher gab es einmal das „Zeitalter der Aufklärung“. So circa im 17. und 18. Jahrhundert. Das habe ich in der Schule gelernt. Es ist völlig unbestritten, dass die Menschheit davor unaufgeklärter war, als danach. Als Kind der 80er und 90er Jahre – ich wurde 1980 geboren – habe ich jedoch einen Eindruck besonders stark abgespeichert: Es wurde damals verbreitet vermittelt, dass die Welt bis auf wenige Ausnahmen erforscht sei und verstanden wurde. In den Nuller Jahren habe ich gemerkt, dass dem mitnichten so war. Große Teile gerade der gebildeten Menschen in Deutschland und der westlichen Welt waren bei wichtigen Themen noch immer völlig unaufgeklärt. Dieser Zustand hat mich schockiert.
Eine Frage des Blickwinkels
Natürlich ist das Ganze eine Frage der Perspektive. Im Gegensatz zum christlichen Mittelalter sind die Menschen im 21. Jahrhundert aufgeklärt. Im Gegensatz zur fundamentalistisch-islamischen Welt ist die humanistisch-säkular-atheistische Welt aufgeklärt. Im Gegensatz zum Deutschland der Fünfziger Jahre ist das Deutschland der Neunziger Jahre aufgeklärt.
Ich halte es für logisch, dass sich die Menschheit kontinuierlich in einem Prozess der Aufklärung und Gegenaufklärung befindet. Dank Wissenschaft, Forschung, Hinsehen und Erfahrungen entwickeln sich Teile der Menschheit fortwährend weiter. Dank Fundamentalismus, Hass, Wegsehen und Ideologie sperren sich Teile der Menschheit fortwährend gegen Fortschritt – oder sie entwickeln sich sogar zurück.
Hier fehlt es an Aufklärung
Ich finde, dass die großen Themen unserer Zeit deutlich zeigen, dass wir uns nach wie vor mitten einem Prozess der Aufklärung befinden. Themen, wo gerade in der westlichen Welt eine unaufgeklärte Sicht vorherrscht(en), sind diese hier:
- Wandel durch Handel. Diese Wunschvorstellung ignoriert die ideologische Verbohrt- und Entschlossenheit von Diktaturanhängern auf der ganzen Welt. Sie scheitert krachend an der Realität. Wandel durch Handel führt öfter dazu, dass freie Gesellschaften ihre liberalen Werte verraten, als dass die Regime unfreier Gesellschaften ihre anti-liberalen Werte aufgeben.
- Der Islam ist die Religion des Friedens. Sicher gibt es Menschen, die durch religiöse, kulturelle oder spirituelle Aspekte des Islams inneren Frieden finden. Die sozialen und politischen Dimensionen des Islams verursachen jedoch in erster Linie Konflikte, Kriege und Unterdrückung auf dieser Welt. Kein Grund, alle Muslime über einen Kamm zu scheren. Aber auch kein Grund, die Augen vor dieser Realität zu verschließen.
- Die Menschheit besteht aus Rassen und Völkern, aus Nationen, Hautfarben und Geschlechtern, aus Religionen, Stämmen und Kollektiven. Äußere Merkmale bestimmen über Wohlbefinden, Denken, Fühlen, Wollen, Wert, Ansprüche und Sein des Einzelnen. Diese kollektivistischen Fehlannahmen und -zuschreibungen negieren die Wirklichkeit vollkommen. Das mit den Rassen hat man meist schon verstanden. Das mit dem Anti-Rassismus hingegen nicht. Überall in der westlichen Welt – und im Rest der Welt sowieso – wird Identitätspolitik betrieben und propagiert. Richtig ist hingegen: Die Menschheit besteht aus Menschen. Aus Individuen. Sie sind allesamt selbst verantwortlich für das, was sie denken, fühlen und vor allem tun.
- Die Menschheit entwickelt sich kontinuierlich fort. Das habe ich oben schon erwähnt: Für einen Teil der Menschheit stimmt das. Für einen anderen Teil stimmt es nicht. Insofern stimmt der Satz nicht. Verantwortlich dafür, ob es Richtung Fortschritt oder Rückschritt geht, sind die jeweiligen Menschen selbst. Unterstützt oder gebremst werden sie von Werten oder Ideologien.
- Die UN und das Völkerrecht sind der Garant für Freiheit und Frieden. Nichts ist falscher als das. Es wäre wirklich schön, wenn es so wäre. Gewiss ist es besser, eine UN und ein Völkerrecht zu haben, als keines von beiden. Dennoch ist festzustellen, dass die UN ein Forum sind, in dem sich Demokratien und Diktaturen gleichermaßen beteiligen und treffen. Das Völkerrecht schützt nicht nur die Souveränität von demokratischen Rechtsstaaten, sondern auch jene von Tyrannen und ihren Regimen.
- Nur, was wissenschaftlich belegt ist, existiert und funktioniert. Deswegen Finger weg von allem, was nicht wissenschaftlich erforscht oder belegt wurde. Das ist eine unwissenschaftliche, moderne Form von Anti-Aufklärung. Wissenschaft bildet bestenfalls genau eine Sache ab: den momentanen Stand der Wissenschaft. Echte Wissenschaft weiß, dass das so ist. Es ist ihr Auftrag, neues Wissen zu „schaffen“, indem sie Altes in Frage stellt und überprüft sowie Neues erforscht. Immerzu. Wissenschaftler wissen, dass sie nur sehr wenig wissen über die Welt. Dennoch tun sie lauter Dinge in ihrem beruflichen und privaten Alltag, die nicht wissenschaftlich erforscht wurden. Warum? Einerseits, weil sie Menschen mit Vernunft und Gefühlen sind und andererseits, weil sie aus Erfahrung wissen, dass gewisse Dinge funktionieren – auch wenn sie noch nicht wissenschaftlich belegt wurden.
- Olympische Spiele, WMs und andere Großereignisse machen aus Diktaturen liberale Demokratien. Das hat weder 1936 in Berlin funktioniert, noch 2008 in Peking und es wird aller Voraussicht nach auch 2022 in Katar nicht funktionieren.
- In Demokratien sind die beste Antwort auf rechte und linke Ideen und Politik rechte und linke Ideen und Politik. Hierbei handelt es sich um eine äußerst beliebte Methode. Abgesehen davon, dass „rechts“ und „links“ Begriffe sind, die je nach Betrachter und Verwender völlig unterschiedliche Dinge meinen können, handelt es sich wie beim Fußball eher um ein Spiel und das Gegröle Drumherum. In diesem Spiel, an dem auch Parteien und ihre Anhänger gerne teilnehmen, geht es vielen nicht darum, dass etwas besser oder schlechter funktionieren könnte, sondern darum, zu gewinnen und nicht zu verlieren. Die jeweilige Sache gerät völlig in den Hintergrund – auch ganz wichtige Sachen, wie der Erhalt von Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit selbst.
- Abrüstung führt zu einer friedlicheren Welt. Wenn sämtliche Diktaturen, Extremisten und Kriminelle dieser Welt abrüsten, könnte das tatsächlich stimmen. Genau das tun sie jedoch nicht. Freiheit und Frieden herrschen dort, wo sich demokratische Staaten durch starke Institutionen, durch Kooperation und durch ein starkes Militär gegen die oben erwähnten Kräfte der Unterdrückung behaupten. Überall dort, wo freie Gesellschaften abrüsten, gewinnen Diktaturen, Extremisten und Kriminelle dazu.
Die Liste ließe sich noch fortführen, aber ich belasse es mal dabei. Weitere Beispiele finden sich in meinem Buch „Nie wieder schwach – wie Demokratien mit der Zivilisations-Formel frei und stark bleiben“.
Titelbild: © Eigene Collage mit Bildmaterial von beyondtheroad via canva.com