Das Spiel mit dem Gas
Wenn ich Putin wäre, dann würde ich Europas und speziell Deutschlands Gasabhängigkeit maximal ausnutzen. Ich würde ALLE Schwächen meiner Gegner ausnutzen. Ich würde die Gaszufuhr drosseln, dann wieder Hoffnungen wecken, dann wieder drosseln, dann abstellen aus „technischen Gründen“, dann wieder aufnehmen. Ich würde allgemeine Drohungen aussprechen. Ich würde Hoffnungen wecken, um abzulenken und abhängig zu halten. Ich würde im Sommer keinen klaren Schnitt ziehen. Stattessen würde ich dafür sorgen, dass die Europäer es aufgrund ihrer Hoffnungen versäumen, sich auf einen totalen Lieferstopp einzurichten. Je weniger sie sich auf einen totalen Stopp einrichten, desto besser. Aber sie sollen gleichzeitig im Unklaren gelassen werden, damit sich innenpolitischer, gesellschaftlicher Druck entfaltet und die Preise hoch bleiben. Druck, der darauf hinwirkt, die Ukraine weniger oder nicht mehr zu unterstützen.
Täuschen, erpressen und abwarten
Wenn ich Putin wäre, würde ich der deutschen Regierung Dinge im Geheimen versprechen – sofern sie etwas auf die Bremse tritt im Ukraine-Krieg. Wenn ich Putin wäre, würde ich die ängstlichen und hoffnungsvollen Europäer massiv täuschen. Ich würde sie am Nasenring durch die Manege führen. Ich würde Ende November, pünktlich zur Weihnachtszeit, einen totalen Gas-Lieferstopp verfügen und mein Versprechen brechen. Dann würde ich abwarten, was mir für Angebote aus Deutschland und der EU einflattern. Dann würde ich die Lieferung wiederaufnehmen nach ein paar Wochen – mit einem saftigen Deal im Sack. Doch schon Mitte bis Ende Januar würde ich die Lieferung erneut komplett einstellen und erneut Dinge fordern. Ich würde dieses Spiel solange spielen, wie die hoffnungsvollen und furchtsamen Europäer es mitspielen und dabei kräftig absahnen.
Schwäche und Naivität ausnutzen
Wenn ich Putin wäre, würde ich denken: was die letzten 20 Jahre funktioniert hat, kann noch länger funktionieren. Ich muss nur die richtigen Knöpfe drücken. Das alles und noch viel mehr würde ich übrigens ebenso tun, wenn ich Erdogan wäre oder Xi oder Raisi. Es gibt doch nichts Schöneres, als ängstliche, hoffnungsvolle, naive und verzweifelte Menschen in der verhassten demokratischen Welt. Menschen, die meinen, sie würden die Welt regieren und lenken. Menschen, die meinen, sie könnten Diktaturen durch Verhandlungen oder Sanktionen gefügig machen. Menschen, die meinen, Freiheit und Demokratie setzten sich schon durch irgendwann, überall. Menschen, die sich an den Frieden klammern und dafür alles opfern würden – auch ihre Freiheit.
Zwietracht und Misstrauen verstärken
Ich würde als Putin, Erdogan und Raisi die politische Opposition in Deutschland und der EU unterstützen – insbesondere rechtspopulistische und islamitische Strömungen würde ich stärken. Ich würde Misstrauen säen. Ich würde die Schwächen der freien Welt verstärken, ich würde den Hass verschiedener Gruppen aufeinander verstärken. Ich würde die Fehler, die westliche Regierungen immer wieder machen, ausschlachten und in Systemkritik und Systemmisstrauen steigern. Ich würde versuchen, Politiker, Wissenschaftler und Influencer in der freien Welt für mich oder meine Sache zu gewinnen. Ich würde mir Einfluss erkaufen über alle Kanäle: Über Sport, über Medien, über NGOs, über Parteien, über Stiftungen, über Unternehmen, über Forschung und Wissenschaft, über Kunst und Kultur. Das alles und noch viel mehr würde ich tun, wenn ich König von Russland, der Türkei, dem Iran, von Katar, von Saudi-Arabien und der VR China wäre.
Als Xi: Den Ball Flach halten
PS: Als Xi würde ich den Ball flach halten. Ich würde versuchen, von der aktuellen Situation zu profitieren. Ich würde immer das tun, was mir selbst am meisten nützt – ganz pragmatisch. Ich würde alles dafür tun, dass westliche Unternehmen weiterhin so viel wie möglich in China investieren, dorthin exportieren, daher importieren. Ich würde China als die „freundliche“ und bessere Variante der Autokratie präsentieren. Ich würde abwarten, stärker werden, täuschen, im Unklaren lassen. Ich würde erst dann so etwas tun, wie Putin in der Ukraine es tut, wenn ich sicher bin, dass ich es mir leisten kann und will. Und solange das nicht der Fall ist, würde ich alles dafür tun, dass die anderen dies für ausgeschlossen halten und sich stattdessen an Hoffnungen klammern.